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Tenberken, Sabriye: Sieben Jahre später

1In der 10. Klasse fragte der Lehrer, wie sich die Jugendlichen ihren Lebensweg vorstellen. Sabriye überlegte lange, am Ende schrieb sie auf: sie wolle raus aus Deutschland, wollte reisen, Sprachen lernen, in anderen Ländern etwas ganz Eigenes aufbauen. Der Unglaube und der Spott ihrer Klassenkameraden festigten ihren Wunsch nur noch, schließlich fand sie auch einen Lehrer, der ihren Traum ernst nahm. Das war damals, in Marburg, wo Sabriye an der Blindenstudienanstalt das Abitur ablegte. Als sie sich dann bei verschiedenen Hilfsorganisationen mit ihrem Wunsch vorstellte, kassierte sie eine Ablehnung nach der anderen, Unverständnis! Die Hilfsorganisationen waren da für Behinderte, waren es aber nicht gewohnt, das diese Behinderten auch selbst aktive Hilfe leisten konnten. Mit der Bemerkung, dass man eine Blinde nicht im Außendienst einsetzen könne und sie sicher besser in einer Telefonzentrale aufgehoben wäre, musste Sabriye von dannen ziehen. Spätestens da zeigte sich ihre Willensstärke. Sie studierte Tibetologie und bereiste als Blinde alleine die Autonome Republik. Um die Sprache zu lernen, entwickelte sie auf der Grundlage der Braillezeichen ein tibetisches Blindenalphabet. 1998 gründete sie in Lhasa eine Blindenschule und half vielen blinden tibetischen Kindern, aus der Isolation herauszukommen. Das Buch "Sieben Jahre später" berichtet über verschiedene Erlebnisse der blinden Schüler und ihrer Lehrer im Jahr 2004. Am beeindruckendsten wohl sind die Lebensgeschichten der Schüler. Wo kamen Tendsin, Bungzo, Tashi und die anderen her, was hat ihnen die Blindenschule gegeben, was wird nun aus ihnen, nach dem sie die Schulausbildung abgeschlossen haben? Traurig und hoffnungsvoll zugleich sind die Berichte der Jugendlichen. Der Leser erfährt im Buch sehr viel über das Bild der Blinden in Tibet. Dabei spielt der bei den Tibetern immer noch fest verwurzelte Glaube an Dämonen und Geister eine erschreckende Rolle. Einige Menschen glauben, Blinde haben in ihrem vorherigen Leben jemanden getötet, andere sehen Blinde einfach als von Dämonen besessen an. So kommt es, dass auch zur Jahrtausendwende noch blinde Menschen in dieser Region eher dahinvegetieren als leben. Jedes der Kinder, die zu Sabriye in die Schule kommen, ist klein, ausgehungert, erniedrigt und verzweifelt. 7 Jahre später findet der Leser fröhliche, selbstbewusste Jugendliche, die anderen ihre Erfahrung weitergeben möchten. Aus jeder Zeile des Buches spricht Liebe zu dem Land, eine Liebe, die nicht beschönigt, sondern sich auch mit den Schattenseiten auseinandersetzt. Daß das Leben in der rauen tibetischen Wirklichkeit für die aus Europa kommenden Menschen nicht einfach ist, zeigt sich besonders auch bei der Beschreibung der Reise von Sabriye und Sharyn mit vier Pferden quer durch das Land. Gerade in diesen Kapiteln wird deutlich, das es nicht um eine verklärte Darstellung eines geliebten Landes und die öffentlichkeitswirksame Darstellung einer Pioniertat geht. Die beiden Frauen, allein der wilden Landschaft, vor allem aber den Vorurteilen und rauen Sitten der oft ungebildeten tibetischen Landbevölkerung ausgesetzt, sind fast am Verzweifeln und Aufgeben. Und dennoch gehört auch diese Erfahrung zu ihrer Liebe zu Land und Leuten. Wie ein roter Faden zieht sich durch das Buch das Bergsteigerabenteuer des Jahres 2004. Geplant war eine Expedition mit dem blinden Mount-Everest-Bezwinger Erik Weihenmayer. Ein Filmteam begleitet die Jugendlichen bei den Vorbereitungen und dem im Herbst jenen Jahres gestarteten Abenteuer. Sabriye zeigt viel Skepis: was steht im Vordergrund: ein echtes Erlebnis für die blinden Jugendlichen, dass zusätzliches Selbstvertrauen schafft. Oder einmal mehr die Vermarktung besonderer Leistungen blinder Menschen in der sensationslüsternen Öffentlichkeit. Ihre Bedenken weichen echter Begeisterung, sie selbst hatten es in der Hand, das es nicht um die Zur-Schaustellung weiterer Superblinder sondern um die Förderung von Zusammengehörigkeitsgefühl und Selbstbestätigung für die tibetischen Jugendlichen ging. Spannend zu lesen ist der Aufstieg auf 6.400 Meter. Und dennoch bricht der Konflikt aus, zwischen sportlicher Spitzenleistung und Gemeinschaftssinn. Die geplante Gipfelbesteigung wird nicht erreicht, die Jugendlichen empfinden die Strapazen als zu groß im Vergleich zu dem Gefühl, als jüngste Blinde auf den Höhen des Himalaja gestanden zu haben. Die Entbehrungen, die für Sportler, die im Alltag komfortabel leben, eine Herausforderung, ein Abenteuer sind, erfahren sie im wirklichen Leben täglich. Ohne Spitzenleistungen in Frage stellen zu wollen, sollte eine Leistung immer an den persönlichen Bedingungen des einzelnen gemessen werden und die entsprechende Wertung erhalten. So verstehe ich den Tenor des gesamten Buches und diese Aussage macht es für mich so lesenswert. Braille ohne Grenzen, die Organisation, die Sabriye gemeinsam mit ihrem Freund Paul ins Leben gerufen hat, ist beachtens- und bewundernswert, ohne, so scheint mir zumindest, dass die kleinen alltäglichen Leistungen eines jeden blinden oder sehbehinderten Menschen auf der Welt darüber vergessen werden. Der Titel "Das siebte Jahr" steht als Hörbuch für blinde und sehbehinderte Menschen zur Verfügung. Nähere Informationen zur Ausleihe findet Ihr unter www.medibus.info Dort gibt es auch die anderen beiden Titel von Sabriye Tenberken. Auch im Buchhandel sind Audio-CD's käuflich zu erwerben.

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Copyright: Susanne Siems
Letzte Änderung: Juni 2006