Fallada, Hans: Jeder stirbt für sich allein

 

Sicher haben auch Sie sich schon öfter Gedanken über ein sinnvolles Leben gemacht, liebe Leserinnen und Leser. Was macht uns aus, uns als einzelne Personen. Was hebt uns heraus aus der Alltäglichkeit des Lebens. Ist es überhaupt notwendig, diese Alltäglichkeit zu überschreiten? Ist nicht der eigentliche Sinn eines Menschenlebens Geburt, Aufwachsen in einer möglichst geborgenen Umgebung, eine berufliche Aufgabe, das Gründen einer Familie, die Enkelkinder und am Ende der Tod? Das es ganz so einfach und „glatt“ wohl niemals geht, das werden alle Menschen erfahren, der eine früher, der andere später. Bei dem Einen wirft es einen ganzen Lebensabschnitt über den Haufen, bei dem anderen scheint die Veränderung ganz allmählich. Und oft sind es äußere Faktoren, die scheinbar diese Änderungen bewirken. Das scheint aber nur so,  denn selbst oder gerade in Extremsituationen sind wir Menschen es, die handeln, sind unsere Gedanken und Gefühle und die daraus resultierenden Handlungen die Auslöser für Veränderungen in unseren Lebensläufen.
 
All das ging mir durch den Kopf bei der Lektüre eines der besten Bücher von Hans Fallada. 1946, kurz vor dem Tod des Schriftstellers geschrieben, merkt man dem Roman „Jeder stirbt für sich allein“ sehr viel Reife und Klarheit an. Das Ehepaar Otto und Anna Quangel, ruhig und angepasst im Berlin Nazideutschlands lebend, erfährt vom Tod des einzigen Sohnes an der französischen Front. Der Schmerz ist unbeschreiblich. Dennoch könnten sie so weiterleben wie bisher, Anna zu Hause den Haushalt führend, Otto als Meister in seiner Fabrik. Die politischen Ereignisse erfährt man so nebenbei. Ja, es sind schlimme Zeiten, Krieg und wenig zu essen. Aber es wird schon Gründe dafür geben und ändern kann man als kleiner Quangel ja sowieso nichts. Wie viele der Menschen in jener Zeit haben so gedacht, wie oft sagt man sich heute, in zugegeben nicht so extremer Situation. das man nichts ändern kann.  Aber Anna und Otto entscheiden sich anders. Sie beginnen, sich aufzulehnen gegen die, die ihnen durch ihren sinnlosen Krieg den Sohn genommen haben. Sie schreiben Postkarten mit antifaschistischen Texten. Diese Postkarten legen sie in belebten Treppenhäusern in Berlin aus. Sie möchten die Menschen um sich rum wachrütteln, auf ihre Weise, mit ihren Möglichkeiten. Zwei Jahre bleiben sie unentdeckt, dann müssen sie den schweren Weg bis zum Ende durch die Gestapogefängnisse gehen. Nein, dieser Roman nimmt kein gutes Ende, jedenfalls nicht für die beteiligten Personen, die ihren Mut und ihre Aufrichtigkeit mit dem Leben bezahlen müssen. Ein gutes Ende für mich ist, dass Fallada die Menschlichkeit siegen lässt, die Tapferkeit des sogenannten kleinen Mannes. Unheimlich viel Schwermut und Trauer liegt in der Geschichte, aber eine Trauer, die nicht lähmt, sondern die uns Heutigen Mut macht zum aufrechten Gang, zum Durchhalten und immer wieder auch Aufbegehren, wenn es um Unrecht geht. Wenn ich es richtig verstehe, wirft die Literaturwissenschaft dem Dichter Hans Fallada zu viel Alltäglichkeit in seinen Romanen vor, zu wenig politisches Verständnis der handelnden Personen. Für mich in meiner Alltäglichkeit und vielleicht für viele von Falladas begeisterten Lesern auch, liegt gerade darin die Größe des Romans. Mir erscheint es durchaus nicht banal, darüber zu schreiben, wie Menschen, die meine Nachbarn sein könnten, ohne große Selbstdarstellung und mit scheinbarer Selbstverständlichkeit Widerstand leisten, mutig und tapfer für ihre Überzeugung eintreten. Es sind gerade die kleinen Helden, die mühsam ihren Weg lernen und die meist nicht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen, die Falladas Bücher so lesenswert machen.  

Der Aufbau-Verlag hat  eine neue Ausgabe des Romans veröffenlticht - zweihundert Seiten mehr, die von der Zensur weggekürzt waren. Miene Rezension bezieht sich auf die kurze Fassung. Ich habe die Neuausgabe nicht gelesen, vermisste ehrlich  gesagt auch nichts. Vielleicht mag ein anderer Leser etwas ergänzen, vielleicht  lese ich auch später diese Ausgabe.
 

Für alle, die auf barrierefreie Aufbereitung von LIteratur angewiesen sind, empfehle ich die PUnktschriftbibliothek der DZB und auch  mehrere Hörfassungen im DAISY-Format.  Sehr gute Sprecher wie Reiner Unglaub und Hans Lanzke garantieren Ihnen Hörgenuss.