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Zum 160. Todestag von Louis Braille verfasste ich untenstehenden Text:

Ein Blinder gab den Blinden das Licht

Zum 160. Todestag von Louis Braille

 

Ein Beitrag von Susanne Siems

 

An einem Januartag vor 160 Jahren war es: im Institut National des Jeunes Aveugles (Nationales Institut für junge Blinde) atmete der erst 43jährige Louis Braille seine letzten Lebenszüge. Am 6. Januar 1852 erlag er  einem Tuberkuloseleiden. Makaber genug, dass die feuchten und kalten Räume des Institutes, in dem er jahrzehntelang gelebt hatte und das jetzt auch zu seinem Sterbeort wurde, der Auslöser dieser Krankheit waren. Ja, es mag vielen armen Menschen in jener Zeit so ergangen sein. Die Lebensbedingungen im Paris des 19. Jahrhunderts waren für den größten Teil der Stadtbevölkerung nicht leicht. Dennoch haftet der Geschichte des jungen Mannes eine besondere Tragik an.

 

Louis Braille wurde im Jahre 1809 nicht weit von Paris, in dem kleinen Ort Coupvray, geboren. Ein Junge, wie viele andere auch, der aber auch das Glück hatte, dass ihn seine Eltern sehr liebten. Das, was sein Leben ungewöhnlich, schicksalsschwer und besonders herausragend machte, begegnete ihm in tragischer Weise im Alter von drei Jahren. In der Werkstatt seines Vaters, eines Sattlermeisters, verletzte sich der Junge ein Auge. Innerhalb eines Jahres war er blind.

 

Zur damaligen Zeit, am Anfang des 19. Jahrhunderts, hatte ein blindes Kind wenige Chancen. Die meisten blinden Menschen vegetierten dahin, von ihren Angehörigen schamvoll versteckt, in doppelter Dunkelheit, der Dunkelheit des fehlenden Lichtes und der Isolation vor der Gesellschaft. Oder man sah sie als Bettler am Straßenrand. Der kleine Louis aber hatte eine besondere Chance – er wurde auf das eingangs erwähnte Institut für junge Blinde geschickt. Dieses Institut wurde 1794 von Valentin Haüy gegründet, um blinde Menschen aus ihrer bildungsfernen Einsamkeit zu befreien. Ein Glücksfall für Louis und – wie sich später zeigte – für die blinden Menschen in der ganzen Welt. Denn der begabte Junge entwickelte in nur 6 Jahren ein Schriftsystem, dass es blinden Menschen ermöglichte, selbständig zu lesen und zu schreiben.

 

Es gab damals viel Wirbel um die besondere Schrift der Blinden. 1825 stellte der damals 16jährige Louis Braille sein System der Öffentlichkeit vor, mit dem Ergebnis, dass es von den sehenden Lehrern und Förderern abgelehnt wurde. Die Schrift, die aus ertastbaren 6 Punkten, aufgereiht wie bei einem Würfel, besteht, war zu fremdartig. Braille hatte sie aus einer Geheimschrift für die französische Armee entwickelt und wie eine Geheimschrift wirkte sie auch auf die sehenden Menschen, die den Blinden die Schrift und Bildung der Sehenden nahe bringen wollten. Dieses Schriftsystem würde blinde Menschen isolieren, sie aus der Welt der Sehenden ausgrenzen, so hörte man die Lehrer reden. Aber Louis war nicht nur, wie seine Briefe und Zeitdokumente zeigen, ein sensibler und warmherziger Mensch, sondern auch ein beharrlicher. Und er erhielt Bestätigung durch andere blinde Menschen. Nach seiner Schulzeit am Institut war er dort als Lehrer tätig, konnte blinde Kinder, so wie er einst eins war, unterrichten, ihnen sein System beibringen und damit die Möglichkeit, selbständig zu lesen und zu schreiben. Es zeigte sich, dass das Ertasten der 6 Punkte wesentlich einfacher und schneller zu erlernen war, als alle Versuche, die Schrift der Sehenden als Relief darzustellen. Und es ließ sich auf viele Besonderheiten anwenden. Louis Braille liebte die Musik, das Orgelspiel. Dafür entwickelte er auf der Grundlage seines Systems eine eigene Notenschrift.

 

Trotz all dieser Erfolge und der Begeisterung bei vielen blinden Schülern wehrten sich die sehenden Lehrer vehement gegen die Braille’sche Schrift. Es passiert ja auch heute noch allzu oft, dass die Erzieher und Wegbereiter junger talentierter Menschen nicht aushalten können, wenn ihre Schützlinge zu eigenen Wegen aufbrechen. Wie konnte sein, dass die genialste Lösung für das Lese- und Schreibproblem der Blinden von diesen selbst gefunden wurde?

Im Institut National kam es sogar zu einem Verbot der Brailleschen Schrift in den 40ger Jahren des 19. Jahrhunderts. Wie bitter muss das für Braille gewesen sein. Erst 1850, zwei Jahre vor seinem Tod, wurde die 6-Punkte-Schrift offiziell im Institut anerkannt. Da war Braille schon schwer von seiner Krankheit gezeichnet. Den weltweiten Siegeszug sollte er nicht mehr erleben. Es brauchte noch einige Jahre bzw. auch Jahrzehnte. In Deutschland wurde seine Schrift erst 1879 eingeführt. Aber sie ist das bis heute gültige Schriftsystem blinder Menschen weltweit, auch in Arabien, China und Russland verwenden Blinde die 6 Punkte. Sie alle verehren den Franzosen Louis Braille und sind ihm dankbar für die vielen wunderbaren, im wahrsten Sinne des Wortes Augenblicke in ihrem Leben.